Heute morgen mache ich mich alleine auf den Weg. Meine bessere Reisehälfte hat eine dicke Erkältung erwischt und will es langsam angehen lassen. Ich dagegen möchte ein bißchen Aussicht erlaufen und das erste Stück der Route Richtung Mueller Hut im Mount Cook Nationalpark hinaufsteigen. Mein Ziel sind die kleinen Seen bei Sealy Tarns.
Vom Visitor Centre bis Sealy Tarns und zurück sollen es laut meinem Wanderführer gute 3 Stunden reine Wegstrecke sein. Die Ausschilderung der Neuseeländer ist anderer Meinung, danach sind es eher 4 Stunden. Nun, ich werde es sehen. Der Weg startet vom Visitor Center im Ort Mount Cook und ist zu Beginn ein netter, ebener Spazierweg durch grünes Gras. Über sumpfige Stellen führen Holzwege, die in einen schmalen Schotterweg übergehen. Im Blick gletscherbedeckte Gipfel, die einen deutlichen Kontrast zu den Tussockgrasflächen bilden. Es dauert nicht allzu lange und ich komme an den Abzweig zum Aussichtspunkt Kea Point. Ein Abstecher von nur 20 Minuten; da kann ich nicht nein sagen. Bin jedoch enttäuscht als ich am Aussichtspunkt ankomme. Klar, Blick auf Mount Cook, aber das Tal ist eine einzige Geröllwüste und der Gletschersee im Vordergrund etwas unscheinbar. Wo bitte schön sind hier all die Superlative geblieben, mit denen diese Aussicht in Reiseführern und vom neuseeländischen Tourismusverein beschrieben wird? Da kenne ich schönere Aussichten in Norwegen. Aber immerhin ist Mount Cook noch in voller Pracht zu sehen. Ich fürchte, die Wolken werden ihn bald schlucken. Denn es ist schlechtes Wetter für später am Tag angesagt.
Ich bleibe nicht lange am Kea Point – leider sind heute auch keine neugierigen Keas unterwegs – und laufe zurück zum Abzweig Richtung Sealy Tarns und Muller Hut. Ich bin keine 50 Schritte diesen Schotterweg gegangen als der ebene Weg schlagartig ansteigt. Ab sofort heißt die einzige Richtung aufwärts – aber wie! Ich komme ziemlich ins Schnaufen. Mit Hozplanken ausgebaute Treppenstufen geht es eine nach der anderen hinauf und wo keine Holzplanken angebracht sind – natürlich in unregelmäßiger Höhe –, da geht es in engen Serpentinen steil bergauf von Felsstufe zu Felsstufe. Nun, ich muß ja auch 500 Höhenmeter bis Sealy Tarns erklimmen und nicht wirklich viele Kilometer laufen. Also kann es nur nach oben gehen. Aber es geht mir in die Beine. So etwas nenne ich gutes Konditionstraining!
Unterwegs überhole ich eine Gruppe Wanderer mit großen Rucksäcken, die auf der Mueller Hütte übernachten wollen. Ich bin heilfroh, daß ich diesen Anstieg nur mit Tagesrucksack machen kann. Alles andere würde nur zu tollem Muskelkater führen.
Bereits beim Aufstieg habe ich immer wieder schöne Ausblicke zurück in das Mount Cook Tal, zum Mueller Gletscher, ins Hooker Valley, zum Mount Sefton und Mount Cook. Und tatsächlich, bereits auf halber Strecke den Berg hinauf ziehen die Wolken heran und hüllen die Spitze des Mount Cook in geheimnisvolle Watte. Schade! In Sealy Tarns angekommen mache ich eine kleine Pause und genieße die Panoramablicke trotz verhülltem Mount Cook. Aber es ist sehr windig und immer mehr Wolken ziehen heran. Und so mache ich mich bald schon wieder an den Abstieg. Steil nach unten; der Abstieg geht mir kräftig in die Beine. Wie immer geht es abwärts viel schneller als aufwärts. Und so erreiche ich bald wieder die Talebene. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, daß meine Zeit knapp wird. Ich habe versprochen nach 3 ½ Stunden wieder zurück in der Jugendherberge zu sein. Also schalte ich beim Rückweg über die Wiesen- und Holzpfade einen Gang rauf – und trudele mit nur 5 Minuten Verspätung in der Jugendherberge ein.
Ein schöner Ausflug in die Gletscherwelt der Südalpen, aber anstrengend und so habe ich in den nächsten Stunden Mühe meine Augen im Auto offen zu halten. Wir haben einige Stunden Fahrt vor uns Richtung Süden nach Arrowtown. Ich bin gespannt auf unser Hostel. Wir haben Glück: War unsere Jugendherberge in Mount Cook schon schön, so toppt unser Zimmer im Hostel in Arrowtown, in der Poplar Lodge, alles. Herrlich ruhig gelegen, blühende Rosen im Garten, ein gemütlich ausgestattetes Zimmer mit kleiner Küche, einer Dusche de Luxe und zwei Gartenstühlen vor dem Zimmer. Die Dusche wissen wir um so mehr zu schätzen, als in der Jugendherberge in Mount Cook das warme Wasser limitiert zu sein schien: Je weiter man die Dusche Richtung „warm“ drehte, desto weniger Wasser kam aus der Dusche – bis nur noch ein Rinnsal übrig blieb. Also werden wir unsere Dusche hier in Arrowtown umso mehr genießen. Nach meiner Morgentour am Mount Cook kann ich eine Dusche auch gut gebrauchen …