Wenn ich ein Wal wäre würde ich mich vermutlich auch vor der Küste von Kaikoura aufhalten. Entweder würde ich den tiefen Canyon vor der Küste von Kaikoura als meinen permanenten Lebensmittelpunkt wählen oder zumindest mal auf Besuch vorbeischauen. Der Meeresboden fällt hier von der Küste jäh in einen 1 Kilometer tiefen Canyon ab; es treffen warme subtropische und kalte subantarktische Strömungen aufeinander und bilden ein nährstoffreiches Gemisch, das Fische und damit Seevögel und Meeressäugetiere anlockt. Einziger Nachteil dieses Canyons aus Sicht der Meeressäuger ist die Nähe zur Küste von Neuseeland, denn so fahren täglich hunderte von Touristen aufs Meer hinaus, um nach Delphinen und Walen Ausschau zu halten. Andererseits lieber mit dem Foto gejagt werden als wie von den Japanern mit Harpune.
Auch Ela und ich stechen mit „Whale Watch Kaikoura“ auf See. Morgens nach einem guten Frühstück stehen wir im Office und besorgen uns unsere reservierten Tickets. Das Wetter ist bedeckt, windig und kalt. Ein Blick auf die Anzeigentafel läßt mich an der Sinnhaftigkeit des guten Frühstücks zweifeln: „strong seasickness warning“ wird angezeigt. Aber jetzt ist es zu spät einen Rückzieher zu machen. Wir erhalten eine kurze Einweisung für das Schiff, steigen in einen Bus, der uns 10 Minuten später auf der anderen Seite der Kaikoura-Halbinsel am Bootssteg absetzt. Kaum sind wir auf dem Boot und haben uns einen Platz gesucht geht es auch schon los. Mit schneller Geschwindigkeit geht es hinaus aufs Meer mit unserem kleinen Katamaran. Aber bevor wir noch richtig Fahrt aufnehmen können, stoppt der Kapitän schon wieder das Boot und schickt uns an die Reeling und aufs Oberdeck, denn er hat Orcas gesichtet. Gespannt beobachte ich die leere Wasseroberfläche. Und tatsächlich! Ich sichte 3 schwarze schlanke Finnen, die das Wasser zerschneiden. Und schwupps sind sie schon wieder weggetaucht. Zweimal mehr bekomme ich die Finnen zu sehen und dabei bleibt es. Vom Rest dieses großen imposanten Killerwals bekomme ich nichts zu sehen. Aber wieso eigentlich KillerWAL, wenn die Orcas zur Familie der Delphine gehören?!
Wir kehren auf unsere Sitzplätze im Boot zurück und der Kapitän gibt wieder Gas um aufs Meer hinauszufahren, wo bereits früh am Morgen Pottwale gesichtet wurden. Kam uns vom Ufer aus das Meer noch relativ ruhig vor, ist das Boot jetzt kräftig in Bewegung. Und es dauert nicht allzulange bevor es den ersten Passagieren schlecht wird. Die Crew ist darauf eingestellt und entsorgt die reichlich vorhandenen Spucktüten nach Benutzung. Der Kapitän hält mehrfach und macht schließlich mit dem Echolot einen Wal aus, der auf Tauchgang ist. Wir verfolgen ihn an der Wasseroberfläche und machen immer wieder Lauschstopps, um unsere Richtung und Geschwindigkeit auf den Wal in der Meerestiefe abzustimmen. Zum Glück dürfen wir uns während dieser Zeit draußen auf Deck aufhalten. Frische Luft macht die Schaukelei erträglicher. Warm ist es heute nicht. Während des Wartens springen plötzlich Delphine neben dem Boot auf. In der Ferne sehen wir Seerobben, die sich im Wasser tummeln, und auch ein blauer Hai schwimmt um das Boot. Ein bißchen Ablenkung, aber trotzdem ist so eine Walbeobachtungsfahrt eine Übung in Geduld.
Im Schnitt bleiben die Pottwale hier vor Kaikoura 45 Minuten auf Tauchgang. Unseren Wal auf Tauchgang verfolgen wir nun schon 1 Stunde und 10 Minuten und so langsam wird unsere Zeit knapp, denn die Tour dauert nur 2 Stunden. So ein Wal kann über 2 Stunden auf Tauchgang bleiben, wenn er denn möchte. Schließlich, als wir kaum noch daran glauben, kommt das ersehnte Kommando: „Zurück auf die Sitzplätze, der Wal taucht auf!“ Wir fahren soweit wie möglich an den Wal heran und dürfen dann wieder an die Reling. Die nächsten Minuten liegt das Boot still und wir beobachten fasziniert die Wasserfontänen, die der Pottwal in die Höhe bläst. Über Wasser ist nur ein schmales Stück des Pottwals zu sehen. Winzig im Vergleich zu dem Rest des Wals, der sich unter der Wasseroberfläche verbirgt. Obwohl die Crew uns während der Fahrt Bilder der verschiedenen Wale, die hier in Kaikoura zu sehen sind, gezeigt hat, kann ich mir keine Vorstellung von der Größe dieses Tieres machen. Und da kommt auch schon der Ruf der Crew: „Achtung, der Wal taucht ab!“ Wir bekommen noch die Hinterflosse zu sehen und mache eines dieser obligatorischen Flossen-Bilder und schon ist der Wal wieder in den Tiefen des Meeres verschwunden.
Fasziniert und etwas benommen gehen wir zurück ins Innere des Bootes und nehmen unsere Sitzplätze ein. Unser Kapitän hat es eilig. Er gibt kräftig Gas um zurück in den Hafen von Kaikoura zu kommen. 30 Minuten brauchen wir bis dorthin und zum Glück ist die Heimfahrt ruhiger, da wir uns mit den Wellen bewegen. Im Hafen angekommen stellen wir fest, daß der Kapitän unsere Fahrt um über 30 Minuten überzogen hat, um uns unsere Walbeobachtung zu ermöglichen. Ein tolles Erlebnis!
Völlig begeistert von diesem Vormittag gönnen wir uns einen kleinen Mittagsimbiss und brechen dann zu einer Küstenwanderung auf. Als Ausgleich für das Sitzen und Stehen heute Vormittag laufen wir jetzt fast 4 Stunden über die Halbinsel. Zuerst entlang der Küste zu einer Seerobbenkolonie, dann über grasbewachsene Klippen mit schönen Aussichten auf Meer und Küste, um schließlich auf einem herrlichen Waldweg zu unserem Hostel zurückzukommen. Keine Sonne, nur graue Wolken am Himmel, aber trotzdem ein schöner Spaziergang. Hungrig kommen wir im Hostel an und kochen uns ein leckeres Nudelgericht mit Knoblauch und Pilzen. Und gar nicht so viel später fallen wir bereits müde ins Bett.