Heute breche ich auf zu einer Wanderung. Keine ordinäre Wanderung, sondern „the world finest day hike“ oder auch als „life-changing experience“ im Reiseführer bezeichnet. Viele Vorschußlorbeeren. Mal sehen, ob die Tongariro Crossing dieses Versprechen auch halten kann. Denn die Kiwis sind mit Superlativen ja groß.
Morgens um 5:45 Uhr geht der Transfer von der Discovery-Lodge zum Startpunkt der Wanderung. Uff. So früh aufstehen. Der Bus ist voll besetzt. 22 Leute fahren zum Startpunkt der Wanderung. Von Wandersleuten mit guter Trekkingausrüstung bis zu mutigen Stadtmenschen in Jeans und mit geliehenden Regenjacken. Selbst Wanderstiefel sind in der Lodge leihbar. Erstaunlich, denn ich würde keine 6 bis 8 Stunden mit fremden Stiefeln laufen wollen.
19,4 Kilometer, 765 Höhenmeter hinauf und 1.126 m bergab erwarten mich. Und hoffentlich schöne, atemberaubende Ausblicke auf Vulkane, Kraterdurchquerungen und die Emerald Lakes. Morgens sieht das Wetter allerdings noch bescheiden aus; nicht schlecht, aber die Berge sind in Wolken gehüllt. Einen letzten Wetterbericht erhalten wir durch den Fahrer des Transfers, bevor es um 6:00 Uhr losgeht. Morgens schönes Wetter; erst nachmittags „isolated showers“.
Die erste Stunde geht es gemütlich und gemächlich auf gutem Weg nur mäßig bergauf. Nebelschwaden ziehen geheimnisvoll an den Bergflanken entlang. Ich erreiche Soda Springs; letzte Toilette für die nächsten Stunden. In unserem Backpackerhostel in Plimmerton hing ein Artikel aus, der sich über die langen Schlangen vor dem Toilettenhäuschen ausgelassen hat. Nun, wir sind die ersten auf dem Weg; noch sind keine weiteren Wanderer unterwegs und so gibt es keine Schlange. Kaum vorstellbar, daß hier in der Hochsaison – von der wir nicht wirklich weit entfernt sind – bis zu 1000 Leute täglich diese Wanderung unternehmen. Nein, da möchte ich nicht mittendrin stecken!
Kaum habe ich das Toilettenhäuschen hinter mir gelassen, da geht es auch schon an den ersten Anstieg. Vor den ersten Treppenstufen steht nochmals ein Schild für die Stadtmenschen, auf dem sinngemäß steht: „Noch kannst du umkehren! Bist du dir sicher, daß deine Ausrüstung und Fitness ausreichend ist?“ Zuvorkommenderweise ist ein Höhenprofil der Wanderung aufgezeichnet mit einer Markierung des aktuellen Standortes und den weiteren, deutlichen Anstiegen, die noch kommen. Zeit für alle Sandalenträger umzukehren?! Sollte man meinen, aber Touristen sind bekanntlich hartnäckig und nicht so leicht von ihren Vorhaben abzubringen.
Bereits während des ersten kräftigen Anstiegs habe ich einen herrlichen Panoramablick zurück ins Tal. Der Morgennebel hat sich in Wolkenbänder verwandelt.
Und als ich den südlichen Krater nach dem ersten Anstieg nach einer weiteren Stunde erreiche, ist der Blick auf den Mount Ngauruhoe und das Tal frei. Herrliche Anblicke!
Da wir die ersten Wanderer auf der Strecke sind, kann ich die Landschaft auch wirklich genießen ohne über Touristenmassen zu stolpern. Wäre ja auch schade die weite, menschenleere Landschaft, die man aus Herrn der Ringe kennt, im Touristenpulk zu durchqueren. So verwandelt sich für mich Mount Ngauruhoe in Mount Doom und die umgebende Landschaft in Mordor.
Ich durchquere den südlichen Krater, bevor es dann in den nächsten Aufstieg zum roten Krater geht. Immer wieder blicke ich zurück und bewundere den wunderbar regelmäßig geformten Vulkankegel des Mount Ngauruhoe und genieße die Aussicht.
Als ich nach einer weiteren Stunde kurz vor dem höchsten Punkt der Wanderung mit 1.886 m angekommen bin, bietet sich ein herrlicher Blick ins Oturere Tal und auf die Kaimanawa Berge.
Aus der Tiefe steigen Nebelfetzen auf. Nebelfetzen oder Schwefeldämpfe? Mal so, mal so, denn ab und zu kommt ein Schwung warme Luft, die leicht nach faulen Eiern riecht bei mir an. Das sind dann wohl eher Schwefeldämpfe. Hier oben mache ich mit zwei weiteren deutschen Mädels Pause und genieße den Blick auf die Emerald Lakes. Spektakulär diese türkisblaue Färbung des Wassers!
Und dann geht es auch schon bergab, vorbei an den Emerald Lakes und dann am Blue Lake und ich bin erstaunt, daß ich den spektakulärsten Teil der Wanderung bereits hinter mir gelassen habe. Inzwischen ist der Blick frei auf Lake Taupo und Lake Rotoaira.
Durch herrlich bunte, aber karge alpine Vegetation geht es zur Ketetahi Hütte hinab. Ich traue meinen Augen kaum, denn der Weg jetzt ist geschottert und wie eine Autobahn zu begehen. Ein Gruß an die Touristenmassen, denen so das Gehen natürlich leicht gemacht wird, aber er schützt auch die fragile alpine Vegetation. Ein Blick zurück den Hang hinauf und ich entdecke einen kleinen Nebenkrater aus dem Schwefelwolken aufsteigen.
Eine letzte Rast an der Ketetahi Hütte, bevor ich mich auf den Weg zum Parkplatz mache, wo der Rücktransport zur Discovery Lodge wartet. Schaffe ich den 12:30 Uhr Transfer? Mit den beiden anderen deutschen Mädels beschließe ich, daß es machbar sein muß. Aber die letzte Stunde müssen wir gut Gas geben, damit wir rechtzeitig am Parkplatz ankommen. Aber besser so, als am Parkplatz eine Stunde zu warten. So haben wir 10 Minuten Luft bis wir aufgesammelt werden. Eine tolle Wanderung mit spektakulären Blicken auf Vulkane, Krater und Seen, auch wenn ich sie nicht als „the world´s finest day hike“ bezeichnen würde. Sorry Kiwis, aber da bin ich schon andere atemberaubende Wanderungen gelaufen. Das soll die Schönheit der Wanderung jedoch nicht schmälern. Zudem bin ich nur wenigen anderen Wanderern auf dem Weg begegnet – entgegen der allgemeinen Vorhersagevon Massenbewegungen, die den Lemmingwanderungen gleichen. So läßt sich die Schönheit der Landschaft sehr gut genießen!
Und wie gut, daß ich gleich früh unterwegs war. Die angekündigten „isolated showers“ legen bereits eine Stunde nach meiner Rückkehr los und wachsen sich zu einer breiten Regenfront aus. Der Shuttlebus bringt alle Stunde leicht bis starkdurchnässte Wanderer zurück in dieLodge. Währenddessen breche ich mit Ela und den beiden anderen deutschen Wanderinnen auf ins Whakapapa Village. Village ist fast schon übertrieben: Campingplatz mit Motel, DOC-Office, ein Pub, ein geschlossenes Cafe und ein Cafe-Restaurant im Chateau Tongariro Hotel. Wir flüchten durch den hartnäckigen Regen in das Cafe und halten bei Cappucino, Espresso und Chai Latte einen Nachmittagsplausch.