Nach meinen Tagen in Queenstown mache ich mich auf den Weg nach Te Anau. Ich habe mir ein Dormbett in Bob & Maximes Backpacker reserviert. Als mich der Intercity-Bus in der Stadtmitte von Te Anau absetzt, stelle ich etwas frustriert fest, daß das Hostel am Stadtrand von Te Anau liegt. Nicht daß Te Anau groß wäre; es gibt nur eine kurze Hauptstraße; aber es sind doch 20 Minuten zu Fuß bis zum Backpacker wird mir im ersten Geschäft, in dem ich nachfrage, erklärt. Ups! Das habe ich bei meiner Reservierung doch glatt übersehen. Doch heute scheint mein Glückstag zu sein, denn der Neuseeländer, der gerade neben mir steht und seine Einkäufe bezahlt, meint beiläufig er könne mich mitnehmen, da er zu Bob & Maxime jetzt hinausfahren würde. Klar nehme ich so ein Angebot an! Ich lade meinen schweren Rucksack in seinen Jeep. Sein kleiner Hund begrüßt mich neugierig und inspiziert mein Gepäck. Ich werde wohl für akzeptabel befunden, darf einsteigen und ihn ein bißchen kraulen.
Am nächsten Morgen habe ich einen Transfer bis zu den Controlgates; das sind die Schleusentore an dem einen Ende des Sees. Von dort aus breche ich dann zu meinen 4 Tagen Kepler Track auf. 61 Kilometer und einige Höhenmeter stehen auf dem Programm. Für heute sind es rund 14 Kilometer und nicht ganz 900 Höhenmeter, die ich zu bewältigen habe. Die erste Stunde ist ein idyllischer Spaziergang entlang des Sees Te Anau durch Buchenwald. Ein heller und freundlicher Wald, auch wenn fast alles bemoost ist. Es ist ungewohnt den schweren Rucksack auf dem Rücken zu haben und nachdem ich Brod Bay erreicht habe, geht es stetig bergauf. Da komme ich schon bald ins Schnaufen.
Zwei Stunden sind es bis zu den „limestone bluffs“. Hohe überhängende Kalkfelsen an deren Fuß der Weg entlangführt. Ab und zu erlaubt der Wald einen Blick auf den See und die hinter Te Anau liegenden Berge. Wunderschön. Ich hatte auf eine nette Stelle für meine Mittagspause gehofft, werde aber enttäuscht. Und so laufe – oder schnaufe – ich weiter bis ich nach einer weiteren Stunde überraschend die Waldgrenze erreiche und einen tollen Blick auf die umliegenden Berge und den unter mir liegenden See habe. Allerdings weht hier oben ein gewaltiger Wind. Ich suche mir eine windgeschützte Stelle mit Panoramablick am Berghang und packe mein Mittagessen aus. Es ist gerade erst 14 Uhr mittags und von hier aus sind es nur noch 45 Minuten bis zur Hütte. Also lasse ich mir Zeit und genieße die Landschaft. Nach 20 Minuten taucht ein Mitwanderer auf. Wir haben uns heute schon mehrfach auf dem Weg gesehen und plaudern ein bißchen. Charles verabschiedet sich mit den Worten: „Bis in 5 Minuten. Du holst mich sicher gleich ein.“ Tue ich nicht. Der Wind bläst mir auf meinem letzten Wegstück kräftig um die Nase. Ich schließe alle Lucken in meiner Jacke und setze eine Mütze auf. Lasse mir trotz dem kalten Wind Zeit für ein paar Fotos, denn noch ist das Wetter schön. Charles dagegen hat die letzte Strecke in Rekordzeit zurückgelegt wie er mir später in der Hütte erzählt. Er hatte nur kurze Hosen an und ihm war dann doch etwas kalt.
Die Luxmore Hütte, in der ich heute übernachten werde, liegt auf 1.085 Metern und bietet einen tollen Panoramablick aus ihren Fenstern. Obwohl sie in einer kleinen Mulde liegt schüttelt der Wind sie kräftig. Ich schaue mir die beiden Schlafsäle an und suche mir in dem kleineren ein Bett aus. Meine Nachbarin ist eine Holländerin mit der ich gleich ins Gespräch komme. Sie hatte sich nach der Wanderung erst einmal in ihren Schlafsack verkrochen, denn ihr fehlte ein Feuerzeug um die Gaskocher in der Hütte anzuwerfen. Nun, da kann ich aushelfen und so kochen wir uns einen schönen warmen Tee im Aufenthaltsraum. Nach und nach trudeln immer mehr Wanderer ein. Auch wenn die Hütte mit ihren 55 Betten nicht voll wird, ist sie doch gut besucht. Charles köchelt sich ein spätes Mittagessen und packt dann ein UNO-Kartenspiel aus. Zu uns dreien stößt noch ein holländisches Paar, die mit mir den Transfer am Morgen hatten, und so haben wir viel Spaß mit UNO. Unterbrochen werden wir nur durch den Hüttenwart, der abends die Tickets für die Hüttenbuchung einsammelt und uns über alles Wissenswerte informiert. Funktionieren der Gaskocher und Toiletten, Evakuierungsstrategie falls ein Feuer ausbricht, „Hüttenetikette“, Abfallentsorgung (pack it in, pack it out – sprich, nimm alles wieder mit, was du mitgebracht hast) und Zustand des nächsten Streckenabschnitts. Und natürlich die Wettervorhersage für den morgigen Tag – schlecht, schlecht, schlecht. Regen massiv. Wir machen lange Gesichter, haben es aber alle geahnt. Wollten es nur nicht wahrhaben, denn heute schien unverhofft lange die Sonne. Nun ja, ändern läßt sich am Wetter nichts. Und so verziehen wir uns alle früh in unsere Schlafsäcke, da uns der erste Tag doch etwas müde gemacht hat.
Bereits in der Nacht fängt es an zu regnen. Der Wind tobt um die Hütte und schüttelt sie immer wieder. Ich krieche erst kurz vor 9 Uhr am nächsten Morgen aus dem Schlafsack, denn so richtig motivieren kann ich mich nicht. Unsere 5er-Runde von gestern Abend frühstückt zusammen und wir beschließen zumindest die erste Weghälfte gemeinsam zu gehen. Auf dem Weg erwarten uns Passagen, in denen Lawinengefahr besteht. Von unserem Briefing am Abend zuvor durch den Hüttenwart sind wir vorgewarnt. Auf der Wegstrecke zwischen den beiden Schutzhütten dürfen wir keinen Stop einlegen. Um 11 Uhr verabschieden wir uns wiederwillig von der warmen Luxmore-Hütte und wagen uns hinaus ins feuchte Nass. Es regnet, und zwar kräftig. Regenhose, Regenjacke und wer hat packt sich noch in seinen Regenponcho ein. Ilja als Holländerin witzelt: „Wir laufen heute double dutch – Regenponcho über Regenjacke. Vielleicht hilft es ja.“ Der Wind gibt sein Bestes um auch die double dutch-Lagen zu durchdringen. Der Regen wird förmlich in uns hineingepeitscht; Nadelstiche im Gesicht. Ich bin über jede Kehre froh, die der Weg macht und die es mir erlaubt mit der Seite oder dem Rücken zum Wind zu laufen. Einen Abstecher auf den nur 10 Minuten entfernt liegenden Gipfel des Mount Luxmore (1.472 m) sparen wir uns, denn die Regenwolken hängen tief zwischen den Bergrücken – keine Aussicht. Und das genau heute, auf dem spektakulärsten Teil unser Wanderung. Schade!
So kämpfen wir uns meist gegen den Wind den Berg hinauf bis wir nach fast zwei Stunden die erste Schutzhütte erreichen. Wir flüchten ins trockene Innere der kleinen Hütte und ich hole meine Thermosflasche mit warmen Tee heraus. Was für eine Wohltat! Eine Banane und ein Nußriegel bringen ein wenig Energie zurück in meinen Körper. Warm ist mir allerdings nicht. Alles ist naß. Regen von außen, schwitzen von innen … da hilft auch kein Gortex. Nach einer halben Stunde Pause brechen wir wieder auf und fangen an, kleinere Schneefelder zu durchqueren. Hier befinden wir uns in der Zone mit Lawinengefahr. Die Hüttenwarte betreuen die Wege professionell und mobile Schilder kennzeichnen sichere und unsichere Zonen. Trotz Regen ist es eine herrliche Landschaft durch die der Wanderweg führt. Allerdings sind wir die meiste Zeit damit beschäftigt entweder das Gesicht vor dem windgepeitschten Regen zu schützen oder uns auf dem Berggrat mit aller Kraft gegen den Wind zu stemmen um vorwärts zu kommen und nicht weggeweht zu werden. Und so freuen wir uns als wir die zweite Schutzhütte, die Hanging Valley Shelter, erreichen. Eine weitere Pause päppelt uns wieder auf. Ein Paar aus Finnland kommt auch in die Hütte hineingeweht und packt gutgelaunt ihren kleinen Gaskocher aus. Erst mal ein warmes Süppchen ist das Motto. Die beiden werden heute Nacht im Zelt übernachten. Ich glaube wir anderen waren alle außerordentlich froh bei diesem Regenwetter in eine trockene, wohlgeheizte Hütte flüchten zu können. Aber Finnen sind vermutlich auch ein bißchen abgehärteter als wir restlichen Europäer, oder?
Unser letzter Wegabschnitt für diesen Tag führt uns stetig bergab. Aus allen Flechten und Grasbüscheln am Hang quillt und fließt Wasser in Strömen den Hang hinab. Ein toller Anblick! Er lenkt mich zumindest die erste Viertelstunde nach unserer Pause von meinen eiskalten Füßen und Händen ab. Aber es dauert nicht lange und meine kalten und nassen Füße werden durch das Gehen wieder warm. Bald schon erreichen wir die Waldgrenze und sind ein wenig vor Regen und Wind geschützt. Ein herrlicher Wald. Moose und Flechten hängen in jedem Baum. Ich komme mir vor wie in einem Märchenwald. Nach einem unerwartet langem Abstieg erreichen wir die auf 497 Metern Höhe gelegene Iris Burn Hütte. Ich pelle mich aus meinen Regenklamotten und ziehe meine quatschnassen Wanderstiefel aus. Vorgestern noch neu imprägniert – hat nichts geholfen bei diesem Regen. Unter der Überdachung in der Hütte sind Haken angebracht. Eine Flut nasser Regenhosen, -jacken und -ponchos hängen dort. Fix suche ich mir ein Bett aus, diesmal in der oberen Etage, zittere mich durch eine Katzenwäsche mit eiskaltem Wasser und schlüpfe in wohlig warme, trockene Klamotten. In der Hütte ist der Ofen bereits angeheizt und bald köcheln wir uns aufgewärmt und gutgelaunt unser Abendessen.
Der Renner für das Abendessen sind die gefriergetrockneten Fertiggerichte von „Backcountry Cuisine“. Beef Curry, Pasta vegetarisch, Thai Curry oder Mexican Rice? Es ist für jeden etwas dabei und wie schnell sind die Gerichte aus der Plastiktüte zubereitet. Tüte aufreißen, heißes Wasser hineingießen, 10 Minuten ziehen lassen und fertig ist das Essen. Wir vergleichen die Geschmacksrichtungen, vergeben Noten und finden diese Gerichte im großen und ganzen prima. Das Thai Curry ist der Renner, allerdings für den ein oder anderen unter uns zu scharf. Und eine „serve one“ Portion ist definitiv für eine Person zu wenig. Nun, ich ergänze meine 1-Personen-Portionen mit einer warmen Suppe vorweg und einem Riegel Schokolade hinterher. Für ein komplettes Menü hätte ich vielleicht den Applecrumble aus der Reihe Backcountry Cuisine mitnehmen sollen. Und gegen Abend überrascht uns dann doch noch die Sonne, die sich für eine Stunde zeigt.
Ich schlafe hervorragend. Auch Ilja ist mit unserem Schlafsaal voll zufrieden. Kaum Schnarcher. Da hatten es die anderen drei aus unserer Gruppe schlechter erwischt. Charles ist sogar in der Nacht in den Aufenthaltsraum umgezogen um überhaupt ein wenig schlafen zu können, so sehr wurde in dem anderen Schlafsaal gesägt. Wir brechen bereits kurz nach 8 Uhr auf, denn für den Vormittag ist trockenes Wetter angesagt. Das wollen wir nutzen. Bereits die nassen Wanderstiefel sind Erinnerung genug an den Regentag von gestern. Im Vergleich zu gestern machen wir heute einen Spaziergang. Zwar sind es auch 16 Kilometer zu gehen, aber alles sanft bergab durch total bemoosten Wald. Die ersten zwei Stunden geht es mehr oder weniger entlang des Iris Burn Flusses. An einer freien Uferstelle machen wir Pause. Die Sonne scheint und so bleiben Ilja und ich sitzen, während die anderen sich bald schon wieder auf den Weg machen. Sie wollen heute nicht nur bis zur nächsten Hütte, sondern bis zum Ende des Tracks laufen. Ilja und ich dagegen haben Zeit, denn wir haben noch eine weitere Übernachtung eingeschoben. Und so genießen wir es, daß dieser Tag wesentlich freundlicher ist als der vorherige, auch wenn zwischendurch ein paar Regentropfen fallen. Als wir den Manapouri See erreichen, wissen wir, daß die Moturau Hütte nicht mehr weit ist. Die Mehrzahl der Wanderer übernachtet hier noch einmal, bevor es am nächsten Morgen nach Te Anau zurück geht.
Auch am nächsten Morgen brechen wir früh auf. Bereits nach 90 Minuten erreichen wir den Abzweig „Rainbow Reach“. Hier könnte ich eigentlich meinen Transfer zurück ins Hostel nach Te Anau nehmen. Aber es ist ein so schöner Tag, daß ich beschließe mit Ilja bis zum Startpunkt, den Controlgates, und dann nach Te Anau zurückzulaufen. Diese 10 Kilometer führt der Weg wunderschön oberhalb des Waiwau Flusses, der die Seen Te Anau und Manapouri miteinander verbindet, entlang.
An den Controlgates angekommen sehen wir bereits in der Ferne die kleine Ortschaft Te Anau. Und trotzdem ist es noch eine ganze Stunde bis wir den Ort erreichen. Puh, die letzten Kilometer ziehen sich gewaltig hin. Als Belohnung gönnen wir uns eine Portion Fish and Chips in der Stadt und genießen von einer Bank aus den Blick zurück auf die Kepler Berge … und ärgern uns ein bißchen über dieses unberechenbare Wetter. Heute Sonnenschein mit tollen Aussichten, während wir vor zwei Tagen oben auf dem Bergrücken noch durch strömenden Regen ohne Sicht gestiefelt sind. Weitere 20 Minuten Fußmarsch bringen mich dann zu meinem Hostel. Nun reicht es meinen Beinen und ich bin froh als ich mich nach 4 Tagen unter eine herrlich heiße Dusche stellen kann.
Die Tage unterwegs auf dem Kapler Track runde ich ab durch eine Film über das Fjordland, der im kleinen Kino von Te Anau gezeigt wird. Ein lokaler Helikopterpilot hat in diesem Film 30 Minuten „Best of Fjordland“ zusammengestellt. Ein wunderschöner Abschluß.