10 Tage Trek um die Cordillera Huayhuash. Was wird mich erwarten? Berge, Berge, Berge natürlich, denn in der Huayhuash liegen immerhin 6 Gipfel über 6.000 m Höhe. Mich beschäftigen im Vorfeld aber andere Fragen. Werden meine Achillessehnen halten? Werde ich mit der Gruppe mithalten können, nachdem ich die letzten Wochen und Monate sportlich gesehen Nullrunden geschoben habe? Und wie wird das mit der Höhe werden? Eigentlich bin ich guter Dinge, da ich die ersten beiden Eingehtage ohne Probleme überstanden habe. Die Truppe aus 12 Leuten ist nett, wenn auch ruhig. Und bisher keine Kopfschmerzen wegen der Höhe -nur gut, daß ich zu Beginn des 10 Tages-Treks noch nicht wußte wie sehr ich zu leiden hatte! Und die wichtigste aller Fragen: Wird mein Schlafsack warm genug sein? Ohne weiter auf die Tourbeschreibung zu achten, die ich vorab erhalten hatte, habe ich meinen Tibet-Schlafsack eingepackt in der Annahme, der sei wohl warm genug. Hm, Komfortbereich bis minus 4 Grad, empfohlen werden uns bis minus 15 Grad. Ich sehe mich schon nachts zittern und schlottern….
26.08.2011: Auf dem Fußballplatz des kleinen Ortes Queropalca (3.800 m) erwartet uns nach einem langen Fahrtag unser erstes Zeltcamp. Von hier aus werden wir am nächsten Tag unseren ersten Trekkingtag beginnen. Ich bin froh aus dem Bus herauszukommen. Keine Ahnung wieviele Täler und Berge wir heute durch- und überquert haben: Bergauf in Serpentinen auf einspurigen Schotterpisten, bergab in Serpentinen, durch das Tal hindurch und auf der anderen Seite wieder hinauf in Serpentinen … Und manchmal mit unerwarteten Hindernissen. Ich bin ja kein guter Mitfahrer, wenn ich neben mir den ungehinderten Blick in die Tiefe habe, kein Stück der Straße mehr sehe. Auch die umwerfende Landschaft kann mich dann nicht wirklich ablenken. Da heißt die Devise entweder schlafen (Busfahren macht ja auch soooo müde) oder Krimi auf dem IPod hören.
In Queropalca sind wir die Tagesattraktion. Der Fußballplatz wimmelt von Kindern, die neugierig um die Zelte streichen und uns beäugen. Wir räumen alles in unsere Zelte und verschließen sie. Nicht daß am nächsten Morgen zwei Paar Wanderstiefel vor dem Zelt stehen.
27.08.2011: Nach meiner ersten Zeltnacht erwarten mich morgens 1,2 Grad in meinem Zelt. Will ich wirklich aufstehen und aus meinem warmen Schlafsack heraus? Habe gut aber völlig verdreht geschlafen und wache mit einem steifen Hals und völlig verspannten Rücken auf. Bevor ich mich noch weiter fragen kann, ob das mit dem Trek eine gute Idee war, bekomme ich einen Becher heißen Tee ans Zelt gebracht. Selbst der Zucker wird auf Wunsch ( 1 Teelöffel bitte!) entsprechend eingerührt. Ich genieße meinen Tee noch im warmen Schlafsack und dann hilft nichts. Zeit zum Aufstehen. Nicht nur ruft das Toilettenzelt nach mir, es steht auch schon das warme Waschwasser vor dem Zelt und Frühstück gibt es auch gleich. Und vor dem Frühstück wollen die Sachen noch gepackt werden, damit die Crew die Esel beladen kann. Aber was für ein Luxus, daß uns die Crew die Zelte auf- und abbaut!
Nach dem Frühstück machen wir uns auf den Weg zur Laguna Mitucocha, unserem nächsten Zeltplatz auf 4.300 m Höhe. Wir wandern gemächlich die Flußtäler des Rio Machacancha und Rio Janca hinauf. Gute 5 Stunden sind wir unterwegs. Bereits nach kurzer Zeit sehen wir in der Entferung hinter uns die Eselskarawane herannahmen. Und ehe wir uns versehen, haben sie uns nicht nur eingeholt, sondern uns im Galopp auch schon überholt. Noch so manchen Tag werden wir staunen in welchem Tempo die Esel mit ihren Treibern die Berge hinaufjoggen, während wir in der Höhe nach Luft ringen. Aber unser Trekkingguide Virgilio und unser Reiseleiter Michael achten mit Argusaugen darauf, daß wir kein zu schnelles Tempo anschlagen und uns dadurch übernehmen. Und nicht vergessen: Niemals auf die Talseite stellen, wenn die Esel den Berg hinaufgetrabt kommen. Da könnte man unfreiwillig den Berg hinunterkugeln.
Im Camp angekommen bietet sich uns trotz Wolken eine herrliche Aussicht auf die ersten mit Schnee und Gletscher bedeckten Gipfel der Cordillera Huayhuash: die Gipfel Rondoy, Jirishanca Grande und Chico. Ich kann den Anblick nicht so wirklich genießen, denn plötzlich stellen sich bei mir massive Kopfschmerzen ein. Noch hoffe ich darauf, daß es mein verspannter Nacken ist und eine Massage und ein Nachmittagsnickerchen Abhilfe schaffen. Ich trinke Unmengen von Tee, was in der Nacht dazu führt, daß ich mich zwei Mal aus dem warmen Schlafsack pelle und das Toilettenzelt aufsuche. So einen kleinen Nachtspaziergang bei null Grad finde ich natürlich toll. Bibber!
28.08.2011: Als ich morgens vorsichtig mein Wohlbefinden teste, sind meine Kopfschmerzen fast verschwunden, aber es ist kalt. Minusgrade im Zelt. Der warme Morgentee hilft die Lebensgeister zu wecken und nach einem frühen Frühstück (war es 6 Uhr oder 6:30 Uhr? Bei solchen Zeiten versagt mein Erinnerungsvermögen meistens, da ich mich noch im Halbschlaf befinde), machen wir uns auf zur Laguna Mitucocha. Die Berge der Cordillera Huayhuash spiegeln sich in der Laguna. Leider ziehen aber bereits um 8 Uhr als wir an der Laguna ankommen die ersten Wolken herein. Trotzdem kann ich das herrliche Panorama heute besser als gestern bewundern.
Heute steht unser erster Pass bei Punta Cahuac auf dem Programm. Nur 4.650 m hoch, was mir aber nur bedingt hilft. Ich bin zwar vom Rucksack tragen entbunden; unser Lumpensammler-Pferd ‚Negro‘, das von Viktor geführt wird, trägt mein Gepäck. So laufe ich eigentlich ganz unbeschwert und trotzdem stellen sich nach einigen Stunden wieder die Kopfschmerzen ein. Und so genieße ich die Aussicht vom Pass und den folgenden Abstieg nur halbherzig.
Unten an der Laguna Carhuacocha angekommen erwartet uns unsere Küchencrew mit dem Mittagessen. Brötchen mit Gemüse und Avocado. Eigentlich ganz lecker, aber ich picke nur herum. Trotzdem geht es mir nach der Pause und dem Essen, zu dem natürlich wie immer heißer Tee gehört, besser. Bei den letzten 40 Minuten Abstieg ins Zeltcamp auf der anderen Seite des Sees bin ich wieder gut gelaunt. Wir passieren einige Lehmhütten. An einer der Hütten trocknet außen aufgehängt Fleisch. Blutrot. Rind oder Schaf? So genau will ich es eigentlich gar nicht wissen.
Um ins Zeltcamp an der Laguna Carhuacocha (4.200 m) zu kommen, muß zuletzt ein kleiner Fluß überquert werden. Zwei Option stehen zur Verfügung: klassisch über die im Fluß liegenden Steine oder akrobatisch a la Klettergarten über eine Hängebrücke mit einzelnen Elementen. Während ich noch sinniere, wer zum Teufel sich eine solche Brücke an dieser Stelle hat einfallen lassen, nimmt Lars sie auch schon in Angriff. Es funktioniert gut seine Flußüberquerung. Als er dann am drittletzten Element abrutscht und sich in einer wirklich akrobatischen Leistung trockenen Fußes über einen Stein und mit Hilfe von unserem Trekkingguide Virgilio auf die andere Uferseite rettet, bin ich zu perplex um zu fotografieren. Ich jedenfalls nehme den klassischen Weg über die Steine im Bach.
29.08.2011: 6 Uhr wecken! Ich dachte, ich bin im Urlaub. Vor allem nachdem ich wegen des vielen Tees wieder mehrfach Nachtwanderungen zum Toilettenzelt unternommen habe, hätte gerne länger geschlafen. Meine Kopfschmerzen lungern noch im Hintergrund, stören mich heute morgen jedoch nicht. Fantastisches Wetter, blauer Himmel und Sonne, die Eisriesen der Cordillera Huayhuash spiegeln sich wie im Programm versprochen in der Laguna. Perfekt!
Von der Laguna Carhuacocha wandern wir zum Zeltplatz bei Huayhuash. Es steht uns ein langer Tag bevor mit fast 7 Stunden Gehzeit und unserem ersten steileren Pass, dem 4.800 m hohe Siula Pass. Heute muß ich meinen Rucksack selber tragen, da die Esel und Pferde einen anderen Weg nehmen. Aber mir werden durch unseren Guide Virgilio die Wasserflaschen abgenommen. Geht es mir gut!
Unser Aufstieg wird belohnt: tolle Blicke auf Gletscher, Berggipfel und im Tal türkisfarbene Lagunen.
Auf 4.600 m Höhe erwartet uns unsere Küchencrew; der Koch stilecht in weißer Schürze und Kochmütze. Das Essen angerichtet auf einem Picknicktisch. Das ist ein Anblick mitten in den Bergen! Wo werde ich in Zukunft bei meinen Touren in den Alpen oder in Norwegen solch eine stilvolle und gute Verpflegung herbekommen? Es gibt püriertes Maniok in Kartoffelform frittiert und mit Gemüse gefüllt. Sehr lecker! Ein heißer Tee rundet das Menü ab. Mein persönlicher Nachtisch sind zwei Rippchen Schokolade aus meiner Care-Paket-Lieferung aus Norddeutschland. Ich rationiere: 10 Tage jeweils 2 Rippchen Schokolade – das hat fast schon Gourmetstatus für mich!
Nach der Mittagspause geht es weiter auf den Pass. Auch hier haben wir wieder eine tolle Aussicht, auch wenn der Himmel wolkenverhangen ist und die Spitzen der Gipfel in den Wolken verschwinden. Auf dem Pass überfallen mich wieder massive Kopfschmerzen und der 1 1/2 stündige Abstieg ist die Hölle für mich. Ich kämpfe massiv mit Übelkeit und bin heilfroh zuvor beim Aufstieg bereits das Mittagessen gehabt zu haben. Mich hält nur der Gedanke an das Zeltcamp mit Schlafsack und Isomatte aufrecht. Und tatsächlich vergehen die Kopfschmerzen nach einiger Zeit im Zeltcamp. Der Abstieg auf rd. 4.400 m Höhe hat geholfen. Von Michael darf ich mir nochmal eine Rückenmassage abholen – hm, tut das gut – und abends beim leckeren Essen in unserem Essenszelt schlage ich schon wieder zu. Der Spuk mit den Kopfschmerzen sollte jetzt nach 3 Tagen wirklich vorbei sein.
30.08.2011: Heute steht der erste 5.000er Pass an. Anfangs darf ich meinen Rucksack noch auf ‚Negro‘ packen, dann nimmt sich aber Almut eine Auszeit und ich trage meinen Rucksack wieder selber. Diesmal nimmt mir Michael meine Trinkflaschen ab. Was für ein Trauerspiel mit uns Höhengeplagten! Der Anstieg ist steil. Langsam geht es bergauf. ‚Immer schön Gänsedepperle machen‘ wie meine Schwester mich erinnern würde. Ich laufe so langsam, daß ich noch nicht mal ins Schnaufen und Schwitzen komme. Wenn meine Zeit auf der Höhe in Cusco auch nicht vollständig für die Höhenakklimatisation betreffend Kopfschmerzen geholfen hat – allerdings wie wäre es ohne diese Tage? -, so sind die Tage der Schnappatmung, die ich in Cusco erlebt habe, dann doch vorbei.
Nach der ersten Pause darf ich meinen Rucksack wieder abgeben. Ein zweites Pferd der Küchencrew ist da und schon überholt uns auch schon der Eselstrek im Trab. Ich staune wieder einmal in welchem Tempo die Eselstruppe mit ihren Treibern den Berg hinaufmarschiert, ja rennt. Wieviel langsamer sind wir doch! Und trotzdem kommen auch wir langsam aber sicher auf dem Trapecio-Pass (5.000 m) an. Es ist windig, wenig Sonne, dafür umso mehr Wolken am Himmel. Gipfelbilder, ach nein, nur Passbilder! Ich fühle mich gut – keine Kopfschmerzen, jipeeehhh!
Der kalte Wind treibt uns dann den steilen Abstieg im Schotter bergab. Ausblick auf glasklare Lagunen und um uns herum Berge, Berge, Berge! Was für ein Augenschmaus! Für die Mittagsrast erwartet uns unsere Küchencrew an einem idyllischen Plätzchen; leider etwas windig. Trotzdem lasse ich mir das Omelett mit Brötchen, Gemüse und Senfsoße schmecken. So ohne Kopfschmerzen fühle ich mich wie ein neuer Mensch. Ich esse so viel, daß ich hinterher beim Laufen Probleme habe. Ich könnte besser rollen als laufen.
Am frühen Nachmittag trudeln wir im Zeltcamp ein. Idyllisch an einem Bach gelegen und Blick auf die beeindruckende Puscanturpa-Gruppe. Ich blicke zweifelnd den Himmel an, ob mehr als nur eine Katzenwäsche drin ist. Ich entscheide ja und lasse mir diesmal eine volle Waschschüssel mit warmen Wasser geben. Ich bin dann doch nicht so hartgesotten wie Hartmut, der sich immer am Bach wäscht. Mensch, das ist doch Gletscherwasser! Da wäre ich ja gleich erfroren. Mit Hilfe einer Tasse wasche ich mir – mit warmen Wasser – die Haare. Die Sonne meint es gut mit mir, denn Wind alleine wäre beim Haare trocknen doch gefährlich. Eine Erkältung will ich mir ja schließlich nicht einfangen. Ruckzuck sind meine Haare bis zur Teepause trocken. Teepause in der Sonne, wie schön. Jaja, nicht nur Frühstück, Mittag- und Abendessen gibt es. Zur Überbrückung der kleinen Hungerattacken gibt es reichlich Snacks und jeden Tag um 16 Uhr eine Teepause – Tee und Knabbereien. Abnehmen trotz viel Bewegung in der Höhe steht hier definitiv nicht auf dem Programm.
Nach der Teepause verschwinde ich im Zelt. Sonne ist weg, es ist kalt. Und dann fängt es auch noch an auf das Zeltdach zu trommeln. Regen, denke ich. Kritisch beäuge ich die Zeltwände und den Zeltboden. Ich höre, wie die Mannschaft sich an den Zelten zu schaffen macht und alle Verankerungen nachspannt. Luxus ist so ein Trekking. Beim nächsten Camping werde ich vergessen haben, daß ich mich selber um diese ungeliebten Feinheiten kümmern muß. Bei meinem Gang zum Abendessen muß ich mich korrigieren. Kein Regen; unsere Zelte sind mit einer weißen Schneehaube überzogen. Für die Nacht nehme ich mir vorsichtshalber meine Trinkflasche mit heißem Wasser mit in den Schlafsack.
31.08.2011: Zum Glück war die Nacht nicht so kalt wie befürchtet und so mache ich mich heute gut gelaunt auf den Weg. Heute legen wir nochmal 50 Höhenmeter drauf und überqueren den San Antonio-Pass mit 5.050 m Höhe. Für mich wird das der höchste Punkt der Trekkingtour sein; die meisten der Gruppe werden jedoch in drei Tagen noch auf den Diablo Mudo (5.350 m) marschieren. Ein langer Aufstieg ist es zum San Antonio Pass. Sand und Schotter und zuletzt alles weiß bepudert vom Schnee der vergangenen Nacht. Die letzten Meter werden wir fast auf den Pass hinaufgeweht. Die Aussicht ist begrenzt, da die Wolken tief am Himmel hängen. Trotzdem ist genug Sonne da für gute Laune und einige schöne Ausblicke auf die Westseite der Huayhuash.
Der eisige Wind auf dem Pass lädt nicht zum Verweilen ein und so machen wir uns nach einem schnellen Fotostop an den Abstieg. Schotter, Schotter, Schotter. Ein langer Weg führt uns hinab zur Laguna Jurau in Kalinka-Tal. Das Mittagessen ruft schon wieder! Auch diesmal liegt unser Camp im Tal an einem wild rauschenden Gebirgsbach. Wasserfälle rechts und links. Nicht umsonst heißt das Camp ‚La Catarata‘ (Wasserfall). Der Weg durch das Tal bis zum Camp zieht sich hin. Der Regen holt uns ein und ich ziehe das erste Mal – und zum Glück auch das letzte Mal – meine Regenhose an.
Heute nur Katzenwäsche trotz warmen Waschwasser. Es ist kalt. Eisig mit diesem Wind, trotz der niedrigen Höhe des Campingplatzes (3.850 m).
Damit ist die Halbzeit der Tour erreicht …. Fortsetzung folgt.