Ostern steht vor der Tür und die Woche vor Ostern heißt hier ¨Semana Santa¨. Die Kombination aus starken katholischen Traditionen und die Freude der Nicaraguaner am Feiern führen dazu, daß für viele Nicaraguaner die „Semana Santa“ eine der wichtigsten Wochen im Jahr ist. Jede Kirche besitzt hier ihren Heiligen und bereits diese Woche wurden diese am Abend in verschiedenen Prozessionen durch die Straßen zu ihren jeweiligen Kirchen getragen. Und weitere Fiestas und Prozessionen stehen in der Semana Santa an. Seit über 470 Jahren wird in Nicaragua die Erinnerung an den Tod und die Auferstehung Jesus gefeiert, darunter ist sicherlich die Prozession „El via crusis“, in der der Leidensweg Jesus über 14 Stationen mit Gebeten und Gesängen nachempfunden wird, die wichtigste.
Bereits am Donnerstag und Freitag dieser Woche konnte ich die Schulklassen beobachten, wie sie Holzstatuen, die Jesus mit dem Kreuz und andere Heilige repräsentieren, in Prozessionen durch die Strasse trugen und an 14 Stationen ihre Gebeten und Gesänge abhielten. Glücklicherweise kamen sie dabei auch bei uns an der Spanischschule vorbei, so daß meine Spanischlehrerin mir noch weitere Erläuterungen geben konnte. Anscheinend ist es üblich die von mehreren Personen getragenen Holzheiligen in einem rechts-links wiegenden Schritt zu tragen. Eine dieser nicht ganz leichten Statuen wurde von 6 Mädels getragen, die mit dem Wiegeschritt so ihre Mühe hatten und von ihrem Lehrer immer wieder ermahnt wurden, sich doch ein Beispiel an den Jungen zu nehmen, die Jesus am Kreuz hervorragend im Wiegeschritt durch die Straßen trugen.
Vorgestern nachmittag bin ich mit dem Fahrrad durch Granada gefahren. Meine Abschiedstour sozusagen, da ich mich heute am Samstag auf den Weg nach Belize gemacht habe. Ich war nochmals am Strand des Lago Nicaragua. Existieren hier noch die Süßwasserhaie oder sind sie alle abgefischt? Von einem kleinen versteckten Hafen habe ich nochmals einen Blick auf die Isletas im See geworfen und konnte in der Ferne den Vulkan Concepcion auf der Insel Ometepe sehen. Ein Reiseziel, das ich für einen zukünftgen Besuch in Nicaragua abgespeichert habe, ebenso wie das Treehouse El Poste Rojo an den Abhängen des Mombacho Vulkans. Naja, Vulkanbesteigung auf Ometepe (immerhin ist der kleine Vulkan Madera fast 1.400 m hoch – eine 8 Stunden Tour) wäre bei dieser Hitze auch nicht unbedingt meine erste Wahl.
Auf dem Rückweg in die Stadt bin ich dann an einer Prozession vorbeigekommen, die von Schulkindern, alle schön in Schuluniform, durchgefüht wurde: Jesus – mit einer umwerfenden Lockenperücke – sein Kreuz auf dem Rücken, eine Eskorte aus Soldaten – schön in goldener Rüstung mit rotem Umhang – ein Engel mit Flügeln und ein Sensenmann. Beeindruckend. Und abends auf der Straße zog diese Prozession singend von Tür zu Tür.
Insofern fiel es mir schwer mich an meinen für heute gebuchten Flug zu erinnern und von Granada Abschied zu nehmen. Hätte ich die Festivitäten vorausgesehen, wäre ich sicherlich noch eine Woche länger geblieben. Wobei meine Gastmutter Fatima pragmatisch meinte, es würde sowieso zuviele Unfälle in dieser Woche geben, so daß ich sicherer in Belize aufgehoben sei. Zu viel Feiern mit Alkohol bekommt den Nichtschwimmern, aus denen praktisch ganz Nicaragua besteht, vor allem bei der Prozession von den Isletas im See Nicaragua nach Granada und beim Feiern an den Stränden wohl gar nicht. Aber das hatte ich auch nicht vor und schwimmen kann ich ja!
Also habe ich heute morgen ein Taxi zum Flughafen in Managua genommen. Habe unterwegs von dem Taxifahrer noch Erläuterungen zu den Zonas Francas, deren größte sich in unmittelbarer Nähe zum Flughafen befindet, erhalten. Die Zonas Francas sind Sonderwirtschaftszonen. In die dort ansässigen Firmen fließt überwiegend asiatisches Kapital in die Textilindustrie. Hier gelten Steuerbefreiungen und da Nicaragua keine Exportquoten für die USA besitzt, wird seitens der kapitalgebenden Asiaten fast ausschließlich für den Export in den nordamerikanischen Markt produziert. Nicaragua fördert seit Anfang der 90er Jahre die Ansiedlung von Betrieben in diesen Zonas Francas um Arbeitsplätze zu schaffen und der Wirtschaft neue Impulse zu geben. Denn man muß sich vor Augen halten, daß immerhin ein Drittel des nicaraguanischen Staatshaushaltes aus internationaler Hilfe besteht und ein zweites Drittel des Bruttoinlandsproduktes aus den Überweisungen von Nicaraguaner/innen im Ausland nach Hause. Ich habe aus meinen Gesprächen mit verschiedenen Leuten herausgehört, daß in einer alarmierenden Anzahl von Betrieben in den Zonas Francas menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse herrschen, ohnehin geringe hygienische und sicherheitstechnische Auflagen nicht erfüllt, Mindestlöhne nicht eingehalten oder Überstunden ohne Entgelt verlangt werden, Kündigungen werden aufgrund von Schwangerschaft oder Krankheit ausgesprochen und gewerkschaftliche Organisationen werden unterdrückt. Allerdings haben viele Nicaraguaner keine Alternative als in diesen Fabriken für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten. Wieder einmal dachte ich, daß wir in Deutschland viel zu häufig vergessen, wie gut es uns wirklich geht!